Was von den Wobblies übrig geblieben ist – Von der Wirklichkeit des Klassenkampfs zur Spektakelfarce

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[Dieser Text entstand nach einer Veranstaltung über Streiks mit einem Referenten der IWW in der „Libelle“ in Leipzig am 5.12.2014, veranstaltet von der Anarchosyndikalistischen Jugend. Im ersten Teil wird kurz eingeführt, was die IWW war. Der zweite Teil enthält eine Polemik über die heutigen Wobblies, anhand der Kritik des auf der Veranstaltung gehaltenen Referats.]

I. Die „historische“ IWW

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Die Arbeiter_innen müssen Klassenkampf führen – zuerst um den Missbrauch ihrer Arbeitskraft durch das Kapital zu beschränken, letztendlich um das Kapital und die Klassenunterschiede überhaupt aufzuheben. Darum haben sich die Industrial Workers of the World (IWW) in ihrer Zeit (von 1905 bis in die 20er Jahre) verdient gemacht, als sie bis zu 100.000 Mitglieder zählten und noch weit mehr in den Konflikt mit der besitzenden Klasse geführt haben. Als One Big Union hatte sie den Anspruch, auf lange Sicht die Arbeiter_innen aller Länder zu vereinigen, ohne Ansehen ihrer Nationalität oder konkreten Stellung in der kapitalistischen Arbeitsteilung (wie es etwa bei Spartengewerkschaften der Fall ist). In den USA organisierten sich in der IWW vor allem die mobilen Teile des Proletariats, die Hobos, Wanderarbeiter_innen und migrantische Arbeiter_innen, aber auch Frauen und Arbeitslose. Die Klassenkämpfe wurden mit großer Härte und Gewalt geführt; oft kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Streikenden und den angeheuerten Truppen der Kapitalseite. Die Geschichte dieser Kämpfe, die an Quantität und militanter Qualität wahrscheinlich die in Europa übertreffen, sind hier aber nur wenig bekannt. Wer weiß z.B., dass es 1919 in Seattle einen Arbeiterrat gegeben hat?

Da der Klassenkampf von den elementaren ökonomischen Lebensinteressen der Produzent_innen ausgeht – unabhängig davon, ob diese als Einzelne auch ein allgemeines Bewusstsein von sich als Klasse haben – organisierten sich in der IWW Arbeiter_innen verschiedenster politischer Richtungen. Sie war keine Richtungsgewerkschaft, verlor aber auch nicht das Ziel einer kommunistischen Produktionsweise aus den Augen. So steht in der 1909 nach der 4. Vollversammlung geänderten Präambel der IWW-Statuten:

„Es ist die historische Mission der Arbeiterklasse, den Kapitalismus zu zerstören. Die Armee der ArbeiterInnen muss organisiert sein, nicht nur für den alltäglichen Kampf gegen die Kapitalisten, sondern auch, um die Produktion nach dem Ende des Kapitalismus weiterzuführen. Indem wir uns industriell organisieren, formen wir die Struktur einer neuen Gesellschaft im Rahmen der alten.“

In der originalen Präambel heißt es außerdem noch:

„Zwischen den beiden Klassen wird es einen Kampf geben, bis die ArbeiterInnen sich sowohl auf einer politischen wie einer industriellen Ebene vereinen und sich mithilfe einer Arbeiterorganisation abseits aller politischen Parteien das aneignen, was sie selbst produziert haben.“

Die hier noch verkündete politische Vereinigung der Arbeiterklasse wurde aus der nach der 4. Vollversammlung beschlossenen Präambel allerdings wieder gestrichen (wobei in der Änderung das, was die Arbeiter_innen sich revolutionär anzueignen haben, präzisiert wurde, nämlich nicht nur die Produkte ihrer Arbeit, sondern vor allem die Produktionsmittel):

„Zwischen den beiden Klassen wird es einen Kampf geben, bis die ArbeiterInnen der Welt sich als eine Klasse organisieren, die Erde und die Produktionsmittel in Besitz nehmen und das Lohnsystem abschaffen.“

Die IWW grenzte mit dieser Einschränkung den Klassenkampf auf bloß ökonomische Ziele und Mittel ein. Das entsprach ihrem Zweck, die ökonomischen Interessen aller Lohnabhängigen zu vertreten; allerdings um den Preis, den politischen Klassenkampf auszuschließen. Diese Beschränkung muss aber auch einengend auf den ökonomischen Klassenkampf wirken, denn dieser selbst trägt die Tendenz in sich, eine politische Form anzunehmen und zu allgemeinen Forderungen zu treiben, die die ganze Klasse betreffen (z.B. Gesetze zur Regelung der Arbeitszeit). Die damit in Gang kommende Assoziation des Proletariats als Klasse für sich bis zu seiner Herausbildung zur revolutionären politischen Macht erscheint – post festum, von der Warte des Gesamtzusammenhangs der unterschiedlichen Stadien des Klassenkampfes – als abschließendes Resultat und höchste Form eines langwierigen Kleinkrieges zwischen Kapital und Arbeit. Wenn die IWW glaubte, auf die politischen Formen dieser Auseinandersetzung verzichten zu können, so irrte sie, wie der Rätekommunist Paul Mattick feststellte:

„Ein Kampf des Proletariats den Klauen der Führerbürokratie, den konterrevolutionären Organisationen entrissen, [ — dagegen] würde die Staatsgewalt den Knüppel mobil machen, und dem bewaffneten Kampf oder der völligen Preisgabe wäre nicht auszuweichen. […] Wäre die „One big Union“ eine Möglichkeit, so hätte sie politische Kämpfe im Gefolge, eine Ignoranz wäre dann undenkbar, denn sie bedeutete den Tod.“

Besonders Gewitzte mögen dies jetzt als halt „marxistisch“ denunzieren. Aber der Klassenkampf in der gesellschaftlichen Sphäre der Politik (einer ubiquitären Lebenssphäre der Klassengesellschaften) und um die Macht in dieser hat sich spätestens mit der Pariser Commune von 1871 als Angelegenheit der ganzen Klasse und nicht nur einer Hand voll „autoritärer Kommunisten“ herausgestellt. Man ist deshalb gut damit beraten, sich diesem Problem zu stellen und zu versuchen, Antworten darauf zu geben, statt es mit einfachen Formeln von Freiheit und Abwesenheit von Staatlichkeit wegzuzaubern. Das einzige, zu was das führt, ist, sich der Wiederkehr des historisch Verdrängten hilflos auszuliefern. Man erinnere sich an das Scheitern der Revolution in Russland 1917ff oder das Versagen der Anarchist_innen im Spanischen Bürgerkrieg.

 

II. Was von der IWW übrig geblieben ist: Der Klassenkampf als Spektakel und der Wobblie als bürokratischer Aktivist

Am 5.12.2014 referierte ein Vertreter der Wobblies in Leipzig. Im Ankündigungstext steht:

„Der Vortrag der Basisgewerkschaft Industrial Workers of the World wirft die Frage auf, wie nützlich es ist, Streiks als das Mittel für den Arbeitskampf zu nutzen. Was sind die Voraussetzungen für einen funktionierenden Streik? Oder welche Formen der Direkten Aktion gibt es sonst noch? Vorgestellt werden auch Beispiele von Betriebsoganisation unter anderem in New York.“

Der Referent kam wiederholt zu dem Schluss, erstens: es käme vor allem darauf an, dass „man“ möglichst viele aktivistische Lohnarbeitende innerhalb der Betriebe „habe“; und zweitens: die neueren Erfahrungen des low-level „Organizing“ (von denen an diesem Abend etliche relativ erfolgreiche Beispiele dargestellt wurden) würden zeigen, dass Streiks eigentlich nicht „nützlich“ sind.

Dieser Nutzen bezieht sich jedoch nicht auf den (teutonisch zum „Arbeitskampf“ verbalhornten) Klassenkampf, sondern es geht um den Nutzen für die IWW – für die Organisation also. Wenn die Organisation – „man“ — sich aber nicht mehr für ihre Mitglieder, die Lohnabhängigen, ihre Interessen und ihre Kämpfe nützlich macht, sondern umgekehrt die Mitglieder sich nützlich für ihre Organisation zu machen haben, dann sollten die workers of the world in Betracht ziehen, diese Organisation als ihren Interessen entgegengesetzt und für ihre Durchsetzung unnütz zu betrachten. „Man“ kann sich dann ja gleich ausserhalb des „Feldes“ der „Arbeitskämpfe“ politisch in einer darauf spezialisierten Organisation – wie der Referent seinem Bekenntnis zufolge dies in „Ums Ganze“ tut – aktivieren. Oder gleich in einer NGO (zu der leider ein Unterschied der propagierten heutigen IWW-Techniken des „Organizing“ kein bißchen klar gemacht werden konnte und wohl auch schwerlich kann), wenn es denn um den „Teilbereichskampf“ der ökonomischen Sphäre gehen soll. Anders als beispielsweise Karl Marx für die IAA immer energisch herausgearbeitet hatte (dass bei aller Kleinarbeit um die elementarsten Erfolge in den Betrieben sowie bei aller Ablehnung von Richtungsgewerkschaften jedoch letzten Endes insgesamt der bewusste Kampf um die Abschaffung des Lohnsystems entscheidend ist), kommt es laut Referent in der heutigen IWW gerade nicht auf die Auseinandersetzung ums Bewusstsein über die Endzwecke aller Kämpfe an – gerade das soll ausgesprochen egal, ausgeklammert, ja tabu sein; Hauptsache „strömungsübergreifend“ sei eine pragmatisch-effektive IWW aufgestellt. Streng nach dem Klassiker des Organising, Saul Alinsky, ist die Richtung und Funktionalität der professionellen „Techniken“, ob nach links ob nach rechts, ob für unten oder oben, letztlich auswechselbar.

Ein Beispiel für die Nutzlosigkeit der heutigen IWW hat der Referent unter anderen auch selbst gebracht: Bei der kanadischen Post hatten die Wobblies es angeblich geschafft, 300 ihrer geschulten Aktivisten einzuschleusen. Aber schon beim ersten Streik ist ihre gesamte Organisation in diesem Unternehmen zusammengebrochen. Schlecht für die Lohnabhängigen und ihren Kampf dort, könnte man meinen; schlecht für die Organisation, meinte der Wobblie. Deshalb mahnte er an, auf andere Formen, nämlich der „direkten Aktion“, zurückzugreifen, die der Organisation nicht in die Quere kommen. Er berichtete z.B. davon, wie Arbeiter_innen während der Arbeitszeit selber einen Ventilator gekauft haben, um ihren Chef dazu zu zwingen, eine Klimaanlage zu stellen. Der Referent hat uns das als Übernahme der Kontrolle der Arbeiter_innen über ihren Arbeitsplatz verkauft; seiner Ansicht nach wäre das gerade das Kriterium „einer befreiten Gesellschaft“. Solcher schwacher Abklatsch von „Arbeiterkontrolle“ ändert aber überhaupt nichts an den Eigentumsverhältnissen, die letztendlich über Macht und Ohnmacht, Freiheit und Unfreiheit in der Gesellschaft entscheiden. Was bei der alten IWW vor dem Hintergrund eines wirklichen Klassenkampfes suspendiert wurde – die materiellen Bedingungen einer kommunistischen Produktionsweise sowie der Revolution des Proletariats, ihre politische Seite mit inbegriffen, als der Weg zu dieser Gesellschaftsform –, das hat sich bei den heutigen Wobblies (jedenfalls bei diesem Vertreter) in eine lächerliche Phrase verflüchtigt. Suggeriert wird, dass die endlich durchgesetzte Auswechselung der kaputten Klobeleuchtung durch direkte Aktion Beispiel macht und von noch ganz kleiner zu immer weiter ausgedehnter Kontrolle der Arbeitswelt durch die Kolleg_innen führen wird, wenn „man“ sie nur richtig, pragmatistisch abzuholen und kampagnenmäßig zu organisieren versteht.

Was die Form der heutigen IWW angeht, hat sie sich also weitestgehend professionalisiert und versteht sich als eine Art NGO fürs Prekariat. Um z.B. für ihre Kampagne „Focus on the Food Chain“ im Lebensmittelsektor entsprechendes Werbematerial herzustellen, haben sich die Wobblies von waschechten Spezialisten des Spektakels für 60.000 Dollar beraten lassen, um entsprechendes Werbematerial unters Volk zu bringen. Und als Spezialist der „Arbeitskämpfe“ besucht der Wobblie selbst, ebenso wie die kapitalistische Führungskraft (sein unternehmerisches Pendant), natürlich auch Schulungen und Weiterbildungskurse.

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Diese Sozialromantiker und Philantropen sind in ihrer Mehrzahl Studenten und aus diesem Grund auch der prädestinierte Nachwuchs der herrschenden Klasse. Was sie von ihren „feindlichen Brüdern“, den Funktionären des Kapitals und des Staats, momentan noch unterscheidet, sind äußere Formen und die zeitweilige Phraseologie der radikalen Linken. Gemeinsam ist beiden Varianten von Managern, dass „man“ seine karrieristischen Partikularinteressen auf dem Rücken der Lohnsklaven durchsetzt. Wir werden deshalb in Zukunft einige der Wobblies dabei beobachten können, wie sie die scheinbaren Klassenfronten wechseln. Die IWW, so wie sie an dem besagten Abend präsentiert wurde, glich noch eher den Chargen eines Ken-Loach-Films aus dem vergangenen Vierteljahrhundert. Dabei handelt es sich um Requisiten eines Spektakels vom Klassenkampf, das nur Bestand haben kann, weil die wirklichen Gegensätze zwischen den Klassen sich noch nicht zur Kenntlichkeit entwickelt haben.

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