„Wie sollten sie also zugeben, dass das Haus schon in Flammen steht?“ – Über linken Attentismus

[Für die „Puristen der Arbeiteruntätigkeit“ stellen wir hier einen Brief von Guy Debord an André Frankin vom 8. August 1958 online. Am 13. Mai desselben Jahres putschten rechte Militärs in der damaligen französischen Kolonie Algerien gegen die Regierung in Paris, von der sie Zugeständnisse an die anti-kolonialen Kräfte befürchteten. Der Putsch führte schließlich zum Zusammenbruch der 4. Republik und zur Errichtung eines autoritären Präsidialregime unter der Ägide von Charles De Gaulles. Angesichts der Mobilisierung der rechten Parteien und der fatalen Passivität großer Teile des Proletariats hätte in diesem Moment der Gefahr aber noch viel mehr auf dem Spiel stehen können. Mehr zu den Ereignissen: http://www.si-revue.de/ein-b%C3%BCrgerkrieg-in-frankreich
In seinem Brief beschreibt Guy Debord, wie die Linkskommunisten von
Socialisme ou Barbarie, um der Erhaltung der reinen Prinzipien willen, die Arbeit eines antifaschistischen Komitees blockieren.
Der Text findet sich in dem Buch Guy Debord,
Ausgewählte Briefe, Berlin 2011, S. 14f.]

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Wider die Todesapologie!

[Dieses Flugblatt wurde auf der „Demonstration gegen ISIS und für Kobane“ am 11. Oktober in Düsseldorf verteilt.]

Der Dschihad des sogenannten „Islamischen Staates“ in Syrien und Iraq geht weiter.

Endgültig kenntlich geworden ist seit dem Anti-Israel-Sommer dieses Jahres der das Spektakel des „clash of cultures“ übergreifende, wirkliche Zusammenhang von welthistorischer Konterrevolution gegen jede Form bürgerlicher, anarchistischer oder communistischer Aufklärung und Emanzipation einerseits und dem barbarischsten modernen Antisemitismus andererseits: die Internationale der antisemitischen Konter-Revolution. Seit der Entstehung des deutschen Nationalsozialismus und der islamischen Revolution ist die Konterrevolution und der Antisemitismus bzw. Antizionismus als Kehrseite derselben Medaille kenntlich geworden: allein schon die Bilder und Klischees, Stereotypen des alten NS-Antisemitismus, die wieder bemüht werden, dürften das vielen endlich klar gezeigt haben. Es sind die Schlüsselreize der modernen Weltanschauung des Opfers und des Todes für einen völkisch-antikapitalistischen, gemeinschafts-gläubigen Unterwerfungswahn mit demselben höheren Zweck: „Opfer und Tod“. Bei der Offensive der europäischen Faschisten ausgehend von Spanien vor fast 70 Jahren hieß es „Viva la Muerte!“ („Es lebe der Tod!“). Die Anweisung heute aus dem Munde des „Kalif“ Bagdadi lautet: „Tötet und strebt nach dem Tode!“

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Kritik der Politik und revolutionäre Realpolitik

[Dieser Text des Autorenkollektivs Biene Baumeister Zwi Negator wurde 2008 in der Ausgabe 28 der Zeitschrift Phase 2 veröffentlicht. Da er schon seit längerer Zeit nicht mehr im Internet verfügbar ist, machen wir ihn hier wieder zugänglich.]

Für die so genannten AktivistInnen der Gegenwart scheint sich nichts auf der Welt so sehr von selbst zu verstehen wie „linke Politik“, und sogar die Phrase „für den Kommunismus“ wird mit der Allerweltsformel „radikale Linke“ in eins gesetzt. Anstatt lediglich zwei Leerformeln zu einer erneuten allegorischen(1) Deutung dessen zu bringen, was „Demokratie“ sei und wie diese mittels besinnungsloser „linksradikaler Bewegung“ endlich zu „verwirklichen“ sei und sowas wie Sozialismus gleich mit, hat dagegen von Marx bis über die Situatonist_innen noch jede historisch-materialistische Kritik von Politik, Recht und Staatlichkeit deren radikale Aufhebung zur conditio sine qua non eines konkreten Übergangs zu communistischer Produktion und Verteilung erklärt(2), ohne zugleich der traditions-anarchistischen Politikabstinenz willfährig zu sein. Vielmehr geht das endlich fällige Schlachten der Heiligen Kuh „radikale Linke“ mit einer defetischisierenden Praxis im Handgemenge der politischen Sphäre selbst einher, und sei es nur erst in der polemischen Form von Ideologiekritik und revolutionierender Alltagskritik. Denn wenn wissenschaftliche KommunistInnen von Rosa Luxemburg(3) über Gramsci(4) bis zum reifen Lukács(5) in ihrem Kampf gegen die sozialdemokratischen und stalinistischen „Realpolitiker“ immer den Charakter der „Politik als Lebenssphäre“(6) herausgearbeitet haben, dann deshalb, weil die politische Sphäre wie keine andere Trennung im gesellschaftlichen Sein das ganze kapitalistische Alltagsleben durchdringt, so dass kein Mensch sich diesem permanenten Handgemenge der Klassenmachtverhältnisse entziehen, sich unpolitisch aus ihm heraushalten kann. Die Aufhebung dieser getrennten Sphäre der bürgerlichen Öffentlichkeit (des homme citoyen), welche das Privatleben (des homme bourgeois) gleichwohl ubiquitär durchdringt,(7) kann deshalb nur im Alltagsleben und Alltagsbewusstsein von den Proletarisierten selbst begonnen werden, indem sie ihre Proletarität und ihr Staatsbürgersein selber radikal kritisch in Frage stellen und in ihrer revolutionären Assoziation praktisch alle konkurrenzgesellschaftlichen Trennungen zu beseitigen versuchen, anstatt sich den professionellen AktivistInnen und Führungskräften „der Politisierung“ als Klientel anheim zu geben, sich von diesen zur „politischen Bewegung mobilisieren“ zu lassen. Damit stellt sich die Frage, wie in und aus der totalen Mittellosigkeit des Lohnarbeitsalltags heraus die Intervention in den politischen Weltlauf überhaupt denkbar ist, ohne sich als „schöne Seele“ angeekelt von der reformistischen Realpolitik der Linken abzuwenden und gar nichts zu tun. Eine revolutionäre Realpolitik (der Begriff geht auf Lukács zurück(8)) ist jedoch sogar in der Versprengtheit der communistischen Elemente der globalen Gesamtarbeiterin gut möglich, indem diese sich als „lesende und Dialektik erlernende Arbeiter_innen“ (so die situationistische Formel) assoziieren und mit communistisch-analytischer Polemik die Parteinahme in dem Weltbürgerkrieg zu formulieren und zu organisieren beginnen, der sich längst weiterentwickelt hat. Diese versprengten enfants perdus der wirklichen Bewegung, die den jetzigen Zustand aufhebt, können sich nicht als Avantgarde, auch nicht als Autonome außerhalb des kosmopolitischen Proletariats bzw. als von der Klasse getrennt missverstehen, denn deren Teil und Ferment sind sie ja. Sie können nur innerhalb der Sphären von Ökonomie und Politik, denen sie wie alle anderen unterworfen sind, Anregungen für die Aufhebung dieser Trennungen entwickeln: als Theoretiker- und Experimentator_innengruppen (wie die situationistische Bezeichnung für diese theoretische Praxis war).

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Zusatz über Antisemitismus zum Text „Anleitung zum Kampf“

Der Faschismus, diese moderne Barbarei, hat sein Zerstörungswerk stets mit einer auch für „die Linke“ immer noch so furchtbar eingängigen Agitation des Anti-Imperialismus getan, und dieser ist ebenso regelmäßig antiamerikanistisch und antisemitisch zugespitzt auf das Hassobjekt „USrael“: das steht genau für die beiden noch am besten bewaffneten Verkörperungen der fortgeschrittensten bürgerlich-demokratischen Moderne in der Welt. Diese zivilgesellschaftlichen Mächte sollen also vom Erdboden vertilgt werden – wie „das Jahr 1789“ ! Stattdessen soll die Menschheit gewaltsam in “die Rückkehr“ gezwungen werden: zurück in „das Reich“ des Kyffhäusers und der innerlich-deutschen Urwälder oder in die „Umma“ des Kalifen in der geistigen Wüstenlandschaft des Propheten. Freilich sollen beide rückwärtsgekehrten Utopien mindest ebenso fit technologisch modernisiert werden wie die bürgerlich-kapitalistische Produktionsweise, die diese Ausrüstung hervorgebracht hat und der ihr unstillbarer Neidhass gilt. Der moderne Antisemitismus ist dabei das einzig Moderne an der deutschen Ideologie und der islamistischen Ideologie, er verbindet den ursprünglich christlich-germanischen und den ursprünglich islamisch-arabischen Judenhass. Nachdem der nationalsozialistische deutsche Antisemitismus längst in die islamisch-arabische Region importiert worden ist, sodass „Die Protokolle der Weisen von Zion“ und Hitlers „Mein Kampf“ heute Spitzenbestseller der islamischen Weltliteratur und feste Bestandteile des Parteiprogramms einer „Befreiungsbewegung“ wie der HAMAS sind, verschränken sich auch in Good Old Europe, das sich seines „eurozentristischen“ Aufklärungs-Universalismus zu schämen begonnen hat – wenn es sich schon nicht besonders seiner kolonialistischen und kapitalistischen Weltaufteilungs- und Vernichtungskriege schämt sondern diese „erinnerungspolitisch“ hervorragend in sein Herrschafts-Design einzubauen versteht – okzidentaler und orientaler Neuer Antisemitismus immer inniger. „Allahs Sonne über dem Abendland“ verbrennt zunehmend die Herzen und Hirne in der kulturrelativistisch-multikulturalistisch getünchten Festung Europa, in der die honorigen BürgerInnen aus dem Schatten der Aufklärung mit ihrer unangenehmen Dialektik endlich ganz heraustreten möchten – ins warme Licht des „Antisemitismus der Vernunft“, wo die Juden nun einmal endlich tot zu sein haben und infolge der Endlösung nun die antijüdischen Gläubigen („die Muslime“) und antizionistischen Militanten („die Palästinenser“) zu den „Juden von heute“ erklärt werden.

Anleitung zum Kampf – The working class has its own foreign policy

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I.

Unsere Welt – die bürgerliche Welt – ist ein einziger „Pfuhl aus Blut, Schlamm und Idiotie“, wie die Surrealisten einmal festgestellt haben. Seitdem hat sich nichts geändert. Der neueste Durchbruch von Barbarei in Gestalt des Vormarsches der Gotteskrieger des „Islamischen Staats“ (IS) führt uns das wieder deutlich vor Augen. Gekrönt wurden ihre Operationen mit der Gründung des Kalifats – ein Leuchtfeuer und Zeichen für alle Islamisten, dass der Dschihad sich lohnt und erfolgreich sein kann. Wir wollen hier nicht weiter auf den Islam und seine faschistische Zuspitzung – den Islamismus – eingehen und verweisen fürs erste auf die verdienstvollen Arbeiten von Hartmut Krauss, von denen aus dieser Komplex weiter erforscht werden muss, um die theoretischen Bedingungen seiner Zerstörung zu erarbeiten.(1) Uns soll hier mehr die Haltung des Westens und die Reaktionen der kommunistoiden Linken auf die letzten Ereignisse interessieren. Unmittelbarer Anlass des Textes ist die Auslieferung der kurdischen Stadt Kobanê durch die Nichteinmischung des Westens an die Schlächter des IS. Es ist zu befürchten, dass die islamistischen Kämpfer Massaker an den überlebenden Kurd_innen anrichten werden, wenn die Stadt in ihre Hände fällt.

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